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2. September 2019

Handy als Fluginstrument




Es war mehr Spieltrieb als praktische Überlegung, mein Handy als Fluginstrument zu nutzen. Sozusagen ein neues Vario zum Nulltarif.
Ich bin mit dem Skytraxx vollkommen zufrieden. Aber es hat mich gereizt, mein neues Handy auch als Fluginstrument zu nutzen. Ich habe keine Alternativen untersucht, deshalb ist das folgende keine Empfehlung für die von mir gewählte Lösung.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf ein Samsung Galaxy S10+, Android 9.0 und XCTrack 0.8.2.

Sicherungsleine 

Erstens wäre es schade um das Handy wenn es weg wäre. Zweitens wäre es blöd ohne Handy am Boden zu stehen, oder gar im Notfall wenn man Hilfe holen wollte. Und nicht zuletzt soll das Handy keinem Wanderer auf den Kopf fallen. Einem Fliegerkollegen hat es einmal das Vario bei einem kräftigen Klapper vom Cockpit gefetzt, also die Notwendigkeit einer festen(!) Sicherungsleine ist einleuchtend.

Mein erstes Handy, so eines mit Tasten, hat eine Öffnung zum Durchfädeln einer Schnur gehabt. Moderne Handys haben das leider nicht mehr.


Ich habe mich zu einer ziemlich soliden Konstruktion entschieden. Eine Silikon-Handyhülle, in die ich einen Schlitz für einen Gurt geschnitten habe. An den Gurt habe ich einen Klett-Streifen angenäht, so dass ich das Handy vom Cockpit entfernen kann, z.B. zum fotografieren. Die Tasten sind voll funktionsfähig.

Andere befestigen nur die Handy-Hülle, aber da hätte ich Angst dass das Handy aus der Hülle rutschen kann. Nicht dass die Hülle da ist und das Handy weg.

Der Nachteil meiner Lösung ist, dass der Mittelbereich des Displays verdeckt ist.

Nachtrag 2022-05: Gurt gegen Schnur getauscht und den Klett auf die Handy-Hülle geklebt. Und eine zweite Handy-Hülle für den Alltag gekauft.

Sperrbildschirm 

Lästig, wenn sich der Sperrbildschirm aktiviert. Mit Handschuhen ist das Handy kaum zu entsperren. Die Gesichtserkennung funktioniert mit Helm nicht. Und erst recht nicht mit Sturmhaube.

Also die Einstellung "Sicherheit" auf "keine" setzen. Das habe ich schon mit meinem vorigen Handy gemacht, aber es was mein Diensthandy, und die IT-Abteilung meines Arbeitgebers hat (verständlicherweise) mit einem update dafür gesorgt dass ich das nicht mehr so einstellen konnte. Aber beim neuen (Privat-)Handy geht das.

Ich verwende sonst Gesichtserkennung und Fingerabdrucksensor zum Entsperren, leider werden diese Daten gelöscht wenn ich die Sicherheit auf "keine" setze. Also nach dem Flug Fingerabdruck und Gesicht neu einlernen. Ein bisschen lästig.

Alternative: Die Sperrzeit lang einstellen, max. 30 Minuten sind möglich (beim Diensthandy war auch das nicht möglich). Aber dann nicht vergessen, zwischendurch eine Taste zu drücken. Und auch das wieder nach der Landung zurücksetzen.

Nachtrag 2022-05: Vielleicht habe ich die Funktion übersehen, vielleicht ist sie neu: Im Menüpunkt "Android Integration" befindet sich die Option "Bildschirm eingeschaltet lassen" 

Luftdrucksensor

Mein Handy hat einen Luftdrucksensor und der funktioniert gut.

Heben und Senken des Handys per Hand,
Luftdrucksensor ausgelesen mit PhyPhox

Wer ein Handy ohne Luftdrucksensor hat, oder einen besseren Sensor wünscht, oder den Stromverbrauch minimieren will, kann ein Variometer über Bluetooth mit dem Handy verbinden. Auch kompakte Vario's wie Skydrop oder XCTracer haben diese Möglichkeit. Bluetooth erhöht natürlich den Stromverbrauch von Handy und Vario.

Der Akku 

Apropos Stromverbrauch, in diesem Punkt hinkt das Handy gewaltig hinter einem "richtigen" Vario nach. Alle verzichtbaren Stromverbraucher wie mobile Daten, WLAN und Bluetooth ausgeschaltet, GPS muss natürlich eingeschaltet sein (außer man beschränkt sich auf die reine Variometer-Funktion - aber dann würde ich wirklich ein kompaktes Vario statt dem Handy verwenden).

Livetracking ist ohne eingeschaltetes Internet nicht möglich.

Eine möglichst dunkle Bildschirm-Gestaltung hilft, Strom zu sparen. Übrigens ist die Ablesbarkeit bei Sonne überraschend gut.

Bei einem zweieinhalb-stündigen Flug entlud sich der Akku von 50% auf 20%. Das ist für mich OK.

Außerdem kann man einen Zusatz-Akku im Cockpit unterbringen, aber das bringt natürlich zusätzliche Komplexität und schränkt die Benutzbarkeit ein, z.B. zum fotografieren. Ich habe meinen Zusatzakku im Rückenfach verstaut, so dass ich ihn nach der Landung benutzen kann um am Boden zu navigieren, einen Rückholer zu organisieren, Fahrpläne abzurufen, etc.

Die App 

Thermik-Assistent
Karten-Ansicht
Ich verwende XCTrack. XCTrack ist kostenlos und frei von Werbung. Nur für Android verfügbar, nicht für iPhone.

Die Anzeigemöglichkeiten sind überwältigend und können überfordernd sein. Ein ganzes Airbus-Cockpit. Die Information kann auf mehrere Bildschirmseiten aufgeteilt werden. Der Wechsel zwischen den Bildschirmseiten kann automatisch erfolgen, z.B. der Thermik-Assistent aktiviert sich automatisch beim Kurbeln.

Und alles ist komplett zu konfigurieren. Hoch- oder Querformat ist wählbar sowie automatische Umschaltung zwischen diesen Formaten. Widgets können frei platziert werden. Endlose Beschäftigungsmöglichkeiten für Technik-verliebte. Konfigurationen können gespeichert und unter Fliegerkollegen ausgetauscht werden. Aber Vorsicht, auch die persönlichen Daten werden mitgespeichert. So habe ich plötzlich Ferdinand Vogel geheißen weil ich eine Konfiguration von ihm geladen habe.

Das Hochladen von Wegpunkt-Files und die Eingabe von Tasks geht natürlich auch.

Straßenkarte, Geländekarte und Lufträume können vom Internet geladen und offline genutzt werden. Lufträume werden übrigens automatisch aktualisiert.

Der Ton des Variometers ist gewöhnungsbedürftig, aber nach erfolgter Gewöhnung sehr informativ.  Es gibt Mehrfachtöne (z.B. beep-blop - beep-blop oder beep-blopblop - beep-blopblop deren Bedeutung mir noch nicht klar sind) und Veränderung des Klangbildes (ein seltsam schnarrender Ton beim Nullschieber bzw. schwachem Steigen). Die Lautstärke muss übrigens in der Konfiguration eingestellt werden, die Lautstärke-Tasten sind für andere Aufgaben vorgesehen. Aber dazu kommen wir noch. 

Die Tracklogs werden im igc-Format gespeichert. Ein Klick genügt um einen Track auf xcontest hochzuladen. Mit einem Häkchen ist zu entscheiden ob der Flug öffentlich zu sehen sein soll oder nicht. Es entfällt also die Notwendigkeit, den Track auf den Computer zu übertragen.

Aber das kann man natürlich auch machen, und hat im Gegensatz zu manchen Varios verschiedene Schnittstellen wie USB, Bluetooth und WLAN und das Internet zu diesem Zweck zur Verfügung. Praktisch, wenn man den Track auf ein iPad überspielen möchte das keinen USB hat.

Tracklogs können wiedergegeben werden, so sind die screenshots auf dieser Seite entstanden. Geänderte Einstellungen können anhand gespeicherter Flüge ausprobiert werden. Allerdings kann man nicht schneller oder langsamer abspielen und auch nicht pausieren und vor- oder zurückspringen. Das bleibt dann doch einer Visualisierungssoftware vorbehalten wie z.B. ayvri (vormals Doarama - ich kann mir den neuen Namen und vor allem die Schreibweise nicht merken, aber ayvri ist immer noch unter doarama.com zu finden). Gleich am Landeplatz direkt vom Handy in ayvri hochladen und auf Facebook teilen - das muss nicht sein aber es macht Spaß.

Bedienung mit Handschuhen 

Das Handy hat ein paar Tasten, und die sind zwar nicht wirklich komfortabel mit Handschuhen zu bedienen, aber immerhin besser als das berührungsempfindliche Display - auch wenn es auf Handschuh-Modus eingestellt ist.

Ein Fliegerkollege hat einen Kugelschreiber mit Gummispitze (und natürlich einer Sicherungsleine) am Cockpit. Auch eine Möglichkeit.

Android und XCTrack bieten verschiedene Verwendungsmöglichkeiten für die Tasten.

Erstens einmal die Kamera: Zweimal auf die Standby-Taste gedrückt, und die Kamera ist aktiviert. Das funktioniert übrigens auch bei aktiviertem Sperrbildschirm. Auslösen geht mit den Lautstärke-Tasten. Drücken und halten für Serienaufnahmen. Feinheiten wie Zoomen oder Umschalten zwischen Foto und Video gehen auf diese Weise allerdings nicht.

Und wieder zurück zu XCTrack?

Das geht mit der Bixby-Taste. Man kann wählen, welche App durch zweimaliges Drücken der Bixby-Taste gestartet werden soll. Geht leider nur bei entsperrtem Handy (sonst könnte man sich den ganzen Sperrbildschirm-Zauber ersparen). Ich habe natürlich XCTrack ausgewählt.

Der Wechsel zwischen den Bildschirmseiten von XCTrack und das Zoomen der Karte kann ebenfalls mit Tasten erfolgen. Z.B. die Lautstärke-Tasten kurz drücken zum Zoomen und lang für Bildschirmwechsel - wenn man es so einstellt.

Fazit

Pro: 
  • Vorhandenes Handy, keine Zusatzkosten. 
  • Viel Information, gute Konfigurierbarkeit 
  • Vario, Kamera und Telefon (und ...) in Einem 
  • Track direkt auf XContest hochladen 
  • Redundanz zu einem vorhandenen Vario 


Contra:
  • FANET und Flarm nicht möglich (soweit ich weiß) 
  • Bedienung mit Handschuhen erschwert 
  • Akku-Laufzeit 
  • Befestigung für Sicherungsleine selber basteln 


Nachtrag 2024 

Die erste Änderung betrifft die Sicherungsleine

Erstens war mir das setup doch zu klobig und das teilweise Verdecken des Bildschirms lästig. Außerdem war das Klettband im Alltag störend, es hat mir meine Hosentaschen ruiniert.
Jetzt habe ich eine eigene Handy-Hülle für's Fliegen mit Ösen, eine sogenannte Handy-Kette. 

Alternativ wäre die "Flugsiccherung" von burnair zu nennen, siehe https://www.burnair.ch/produkt/handy-flugsicherung/  
In Österreich nicht zu bekommen, aber man könnte sie für den Eigengebrauch einfach nachbauen. 

Die zweite Änderung betrifft die Sensorik

Der im Handy eingebaute Luftdrucksensor ist zwar empfindlich, aber träge. Wenn ich Vario und Handy probehalber beide laut gestellt habe (nervig, aber eben nur zur Probe) erkennt man, dass das Handy später piepst. 

Auch die Position ist beim Handy verzögert. Beim Kreisen zeigen Handy und Vario um 90° verschiedene Kurse an! 

Abhilfe: Das Vario per Bluetooth ans Handy koppeln. Wobei nicht der normale Kopplungsmodus des Handys verwendet wird, sondern xctrack findet das Vario selbständig. Dem Vario kann man eine höhere Priorität zuordnen als den eingebauten Sensoren. Sollte das Vario ausfallen, greift xctrack dann auf die eingebauten Sensoren zurück.